Expertenstimme: Prof. Dr. Barbara Steiner

Inwiefern werden denn technische Assistenzsysteme schon im eigenen Zuhause genutzt?

Wenn wir bei dem Thema Notruf oder Hilfe holen bleiben: In dem Bereich gibt es mittlerweile einfache Systeme, die sich schon durchgesetzt haben, wie z. B. klassische Bewegungsmelder. Mithilfe von Sensoren in der Wohnung kann festgestellt werden, ob sich jemand in der Wohnung aufhält oder nicht. Dieses System ist mittlerweile so gut entwickelt und aufeinander abgestimmt, dass es erkennen kann, wenn sich in der Wohnung in einem bestimmten Zeitraum nichts bewegt. Angenommen um 8 Uhr in der Wohnung von Frau Maier bewegt sich nichts, obwohl sie normalerweise jeden Morgen um diese Uhrzeit aufsteht und sich ihr Frühstück macht. Dann schickt das System eine Nachricht beispielsweise an die Tochter. Oder jemand verlässt die Wohnung und die Haustür geht bis abends nicht mehr auf. In dem Fall muss man sich fragen, ob die Person möglicherweise nicht mehr nach Hause findet.

Kontrolliert wird dann über eine App?

Genau. Als Tochter kann ich mit dieser App nachvollziehen, was in der Wohnung der Mutter passiert. Ist sie zu Hause oder ist sie rausgegangen? Ist sie wieder nach Hause gekommen? Ich würde so ein System auch jederzeit für meine Mutter einbauen, wenn sie damit einverstanden ist. Meine Mutter ist knapp 90 und wir probieren oft gemeinsam neue Technik aus.

Welche technischen Hilfsmittel haben Sie denn bereits bei Ihrer Mutter einbauen lassen?

Es muss immer auf den einzelnen Fall passen, wobei man sich zuerst fragen muss, was die jeweilige Person an Technik bedienen kann. Bei meiner Mutter haben wir uns vor zehn Jahren gefragt, ob sie ein Tablet benutzen kann, damit wir skypen können. Sie war dem gegenüber auch offen, allerdings hat sie nie am Computer oder an der Schreibmaschine gelernt. Da sie aber gerne Kreuzworträtsel löst, konnte sie mit den Tasten auf dem Tablet etwas anfangen. Ich musste allerdings immer erst über das normale Telefon anrufen und ihr sagen, sie soll das Tablet nehmen und auf den Knopf drücken, damit wir skypen können. Das funktionierte dann auch eine Weile.

Meine Mutter ist knapp 90 und wir probieren oft gemeinsam neue Technik aus.

Prof. Dr. Barbara Steiner

Meine Mutter ist außerdem sehr schwerhörig. In so einem Fall schaut man in den Hilfsmittelkatalog rein, in dem es auch Hilfsmittel für Schwerhörige gibt. Daraufhin habe ich ein einfaches Gerät im Flur installiert, mit dem ich das Telefon mit der Haustürglocke verbunden habe. Immer wenn das Telefon nun läutet, verstärkt das Gerät zum einen die Lautstärke des Läutens und zum anderen entsteht ein Lichtblitz. Darüber hinaus habe ich noch weitere Hilfsmittel angeschafft, von Gehstöcken bis Rollatoren ganz unterschiedlicher Art, die ich noch zusätzlich mit Klingel und Reflektoren ausgestattet habe. Inzwischen bräuchte meine Mutter auch ein System mit einfachen Bewegungsmeldern, die miteinander kommunizieren, damit ich weiß, was in ihrem Haus vorgeht. Wenn ich sie jetzt anrufe und sie reagiert nicht darauf, weiß ich momentan nicht, ob sie hilflos am Boden liegt, nicht daheim ist oder das Klingeln einfach nicht gehört hat.

Haben Sie als Tochter dann die alleinige Kontrolle über dieses System?

Das System würde nur ich kontrollieren. Das ist aber ein Abstimmungsprozess, die Kontrolle muss in Abstimmung passieren. Meine Mutter fühlt sich sehr unsicher, aber auch ich fühle mich unsicher. Wenn das System nun merkt, dass sich niemand bewegt, obwohl er normalerweise da sein müsste, leuchtet meine App rot. Wenn ich dann anrufe und sie nicht ans Telefon geht, muss ich jemanden anderen um Unterstützung bitten können, z. B. einen 24-Stunden Einsatzdienst wie das DRK oder die Johanniter. Die haben einen Schlüssel und können in die Wohnung gehen.

Ohne entsprechende Services und Dienstleister funktioniert AAL also nicht?

Genau. Generell geht es aber weniger um die Frage, ob stationäre oder häusliche Pflege. Vielmehr geht es um die Frage, wie gegenseitige Hilfeleistungen und Services zusammengebracht werden können. Wir brauchen Profis und nachbarschaftliche Hilfsnetzwerke. Wir müssen uns gegenseitig helfen. Vielleicht wird es in Zukunft einfache beherrschbare Systeme geben, über die man sich zusammenschließen kann. Ich wäre dankbar, wenn es in dem Dorf, in dem meine Mutter wohnt und das 100 Kilometer weg ist, so ein System gäbe, das zuverlässig und einfach ist, in das ich mich einklinken kann. Aber so etwas gibt es noch nicht.

Den zweiten Teil des Interviews finden Sie hier.


Weiterführende Informationen

Das PORT-Gesundheitszentrum Schwäbische Alb Hohenstein

Prof. Dr. Barbara Steiner ist seit zwei Jahren Koordinatorin für das PORT-Gesundheitszentrum Schwäbische Alb Hohenstein, ein bundesweites Projekt, das der Landkreis Reutlingen gemeinsam mit der Robert-Bosch-Stiftung und der Gemeinde Hohenstein auf den Weg gebracht hat. Das Konzept des Gesundheitszentrums sieht vor, die ärztliche Primär- und Langzeitversorgung auf dem Land infrastrukturell zu verbessern. So vereint das Zentrum verschiedene Praxen wie den Allgemeinarzt, den Kinderarzt, eine Physiotherapie, eine Hebammenpraxis sowie eine Beratungsstelle für psychisch kranke Menschen. Auch sollen hier innovative Konzepte wie beispielsweise zum Thema eHealth etabliert werden.


Weiterführende Informationen

sens@Home

Im Rahmen der Förderungsinitiative „Altersgerechte Assistenzsysteme für ein gesundes und unabhängiges Leben – AAL“ des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) entstand das Projekt sens@Home (Laufzeit 2009 – 2012) der BruderhausDiakonie (Reutlingen) sowie der Partner Fraunhofer Institut IPA (Stuttgart), Vitracom AG (Karlsruhe) und Sikom Software GmbH (Heidelberg). Ziel des Projektes war es, eine Sensorik zu entwickeln, die Unfälle im eigenen Zuhause eigenständig erkennen kann.


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