Expertenstimme: Prof. Dr. Barbara Steiner

AAL-Expertin Prof. Dr. Barbara Steiner über ethische und gesellschaftliche Herausforderungen, mögliche Vorbehalte und persönliche Erfahrungen von AAL – Teil 1 des Interviews

Prof. Dr. Barbara Steiner ist seit drei Jahren als Professorin für soziale Arbeit mit Schwerpunkt Altern und Pflege, Gemeinwesenarbeit und Ehrenamt an der Dualen Hochschule in Heidenheim tätig. Davor hat sie sich zehn Jahre lang intensiv mit den Themen Technik, eHealth und Ambient Assisted Living (AAL) beschäftigt. So war sie 2008 in einem ihrer ersten Projekte für die Entwicklung eines automatisierten Notrufs verantwortlich. Seit zwei Jahren ist sie außerdem Koordinatorin für das PORT-Gesundheitszentrum Hohenstein, ein bundesweites Projekt, welches sich u. a. auch mit der Frage auseinandersetzt, wie eHealth-Konzepte in der Praxis umgesetzt werden können. Wie so ein Ansatz aussehen könnte, welche ethischen und gesellschaftlichen Herausforderungen noch bewältigt werden müssen und welche ganz persönlichen Erfahrungen sie schon mit AAL gemacht hat, erzählt Barbara Steiner uns im Interview.

Foto: ©aalright

Frau Steiner, Sie arbeiten momentan u. a. als Koordinatorin für das Gesundheitszentrum Hohenstein. Inwiefern spielt dort das Thema eHealth eine Rolle?

Es gibt viele Ansätze, wie man in Zukunft diesen demografischen und gesellschaftlichen Wandel angehen kann. So haben wir uns neulich in einem Workshop gefragt, welche konkreten Ansätze auch für das Gesundheitszentrum möglich sein könnten. Dabei ging es von Kommunikationsplattformen über eine interne Vernetzung bis hin zum Thema eHealth. Die Basic-Variante wäre hier das Skypen mit dem Hausarzt. Gerade im Zeitalter von Corona wäre es sicherlich so manchem recht, wenn er mit dem Hausarzt skypen kann und sich nicht durch den Besuch in einer Praxis der Gefahr einer Ansteckung aussetzen müsste. Momentan bekommt man den Hauch einer Vorstellung, was die Vorteile davon sein können.

Weil es sonst so viele Vorbehalte gibt?

Ja, im Pflegebereich stößt man immer ein bisschen auf Vorbehalte, wenn es um den Technik-Einsatz geht. Dort ist man der Meinung, man brauche den persönlichen Kontakt zu den Menschen und das werde durch die Technik verhindert. Das ist aber nur eine Sichtweise und es ist auch nicht der Sinn und Zweck von Technik. Es geht nicht darum, diesen Kontakt zu vermeiden, sondern darum, die Lebensqualität zu unterstützen und vielleicht noch eine Infrastruktur bereit zu halten, die wir sonst nicht mehr haben. Natürlich wäre es besser, einen Menschen zu haben. Doch was machen wir, wenn wir keinen Menschen mehr haben, weil diese Infrastruktur nicht mehr da ist?

Sie haben sich jahrelang mit dem Thema AAL beschäftigt. Können Sie sich noch an Ihr erstes Projekt erinnern?

Das war, glaube ich, 2008. Bis heute gibt es diese vom Bundesministerium für Bildung und Forschung aufgelegte Forschungsreihe. Eines der ersten Projekte war sens@Home und lief in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut und der BruderhausDiakonie, wo ich damals in verantwortlicher Position gearbeitet habe. Es ging darum, einen automatisierten Notruf zu entwickeln. Bei einem klassischen Hausnotruf trägt man ein Armband mit einem Knopf, den man im Notfall drücken kann. Dieser Notruf wird dann an einen Dienstleister gesendet, in der Regel das DRK (Deutsche Rote Kreuz) oder die Johanniter. Wir haben uns damals gefragt, ob dieser Notruf auch automatisiert erfolgen kann. Denn wenn man stürzt oder ohnmächtig wird, ist man nicht mehr in der Lage, einen Knopf zu drücken. Mit dem System sens@Home wurde dann Sensorik in der Wohnung eingesetzt, wodurch es möglich war, Stürze erkennen zu können. Das war ganz am Anfang.

Wie sahen weitere Projekte von Ihnen aus?

Es gab noch viele verschiedene Projekte, z. B. zum Thema Menschen mit Demenz und Mensch-Maschine-Interaktionen. In anderen Projekten ging es um verschiedene Kommunikationsplattformen. Im Fokus stand dabei die Frage, wie man im ländlichen Raum auf einer solchen Plattform bürgerschaftliches Engagement und professionelle Hilfen in ein System integriert und Absprachen ermöglicht. Wenn z. B. eine Nachbarin und ein ambulanter Dienst regelmäßig bei jemandem nach dem Rechten sehen, muss man überlegen, wie diese beiden miteinander kommunizieren können. Aber auch der Datenschutz ist wichtig. Möchte ich als Mensch, dass alle miteinander vernetzt sind und alles über mich wissen und sich darüber austauschen?

Möchten Sie, wenn Sie hilfebedürftig sind, wenn Sie sowieso in einer Situation sind, in der Sie sich unsicher fühlen, dass jeder alles immer über Sie weiß?

Prof. Dr. Barbara Steiner

Man stellt es sich immer vergleichsweise einfach vor und wundert sich, warum es nicht funktioniert, aber eigentlich ist es nur natürlich. Was würden Sie sagen, wenn ich Sie jetzt fragen würde: Möchten Sie, wenn Sie hilfebedürftig sind, wenn Sie sowieso in einer Situation sind, in der Sie sich unsicher fühlen, dass jeder alles immer über Sie weiß? Die Menschen haben ein Recht auf ihre Daten. Ich finde das in Ordnung.

Datenschutztechnisch steht AAL also noch vor einer Herausforderung?

Ich glaube, es wird in Zukunft eine große Herausforderung sein, sich differenziert anzuschauen, was der Einzelne will. Wenn jemand z. B. mit einem Wearable seine Gesundheitsdaten messen lässt und ihm die Daten komisch oder gefährlich vorkommen: Was macht er dann mit den Daten? Geht er damit zum Arzt? Es geht auch darum, wie zuverlässig solche Systeme sind. Woher weiß ich, dass meine Gesundheits-App die Daten richtig misst? Dass der Datenschutz eingehalten wird? Gut finde ich, dass inzwischen ethische Fragestellungen entwickelt wurden und es mittlerweile Standard ist, diese ethischen Fragestellungen im Bereich der Techniknutzung mit einzubeziehen.


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