Expertenstimme: Prof. Dr. Daniel Buhr

Inwiefern kann die Wissenschaft dazu beitragen, das Thema AAL insbesondere der Bevölkerung näher zu bringen?

Viele Leute können sich wenig darunter vorstellen, weil häufig mit abstrakten Fachbegriffen gearbeitet wird. Und überall dort, wo wenig Wissen in der Gesellschaft vorherrscht, neigt man dazu, entweder komplett dafür oder komplett dagegen zu sein. Es gibt also eine Übertreibung in beide Richtungen. Ich glaube, Wissenschaft kann zu einer Versachlichung der Debatte beitragen. Deswegen sind auch Orte wie das LebensPhasenHaus in Tübingen so wichtig. Dort kann man sich herstellerunabhängig mit diesen Neuerungen auseinandersetzen und für sich entdecken, was es überhaupt gibt und was es für einen selbst bedeutet, wenn man in einer solchen Situation steckt, was hoffentlich nie passieren wird.

Sie meinen, wenn man plötzlich selbst pflegebedürftig ist?

Oder wenn ein umliegender Verwandter z. B. einen Schlaganfall erlitten hat und ganz plötzlich zum Pflegefall wird. Diese Situation kann sehr schnell eintreten und dann stellen sich über Nacht sehr viele Fragen und konkrete Herausforderungen. Und bei diesen konkreten Herausforderungen wandelt sich dann häufig die abstrakte Ablehnung gegenüber technischen Assistenzsystemen in eine sehr konstante Zustimmung. Viele Leute sind dann vielleicht doch für eine Telemedizin, wenn sie sich dafür einen Spezialisten zuschalten können. Und möglicherweise sind sie in dem Fall auch eher bereit, den Datenstrom zuzulassen und die Daten preiszugeben, weil sie dafür einen konkreten Mehrwert bekommen. Es entscheidet sich eben an diesem konkreten Mehrwert, am Nutzen und an der klassischen Bedarfssituation, ob man dafür oder dagegen ist und weniger an einem abstrakten Diskurs.

Warum wird aus einer guten Idee nicht zwingend eine erfolgreiche Innovation? Weil auf dem Weg dorthin sehr viel berücksichtigt werden muss.

Prof. Dr. Daniel Buhr

Haben es AAL-Systeme denn generell schwerer in der Akzeptanz als klassische Smart Home-Implementationen?

Das ist ein sehr vielschichtiges Phänomen. Die Übergänge sind dabei fließend. Von klassischen Umfragen weiß man, dass Faktoren wie Sicherheit und Kommunikation in den eigenen vier Wänden enorm an Relevanz gewinnen und weniger das Thema Gesundheit, weil das für viele erstmal sehr weit weg ist. Man beschäftigt sich vielleicht auch nicht so konkret damit. Sicherheit und Kommunikation sind dagegen ganz andere Aspekte. Und diese Komponenten sind heutzutage auch eher in einem Smart Home verbaut. Aber wenn diese Technik schon verbaut ist, kann das vielleicht die Grundlage sein, Dienstleistungen aufzubauen, die im Alter das Alltagsleben vereinfachen, aber auch die pflegerischen und haushaltsnahen Dienstleistungen einfacher und kostengünstiger anzubieten. Es kann nicht sein, dass es auf der einen Seite denjenigen gibt, der sich ein voll ausgestattetes Superhaus leisten und sich alle Dienstleistungen einkaufen kann, während andere diese finanziellen Möglichkeiten nicht haben. Anfangs braucht man sicherlich die Pionieranwenderinnen und -anwender, die bereit sind, zu investieren. Aber Sinn und Zweck ist es natürlich, dass diese neuen Dienstleistungen später den Weg in die Regelversorgung finden und dann eben auch möglichst allen zur Verfügung stehen.

Wo sollte Ihrer Meinung nach die Forschung zu AAL in Zukunft weiter ansetzen?

Mir persönlich ist der herstellerunabhängige Aspekt sehr wichtig. Viele private Hersteller sammeln heutzutage Daten. Wir alle waren in dieser Hinsicht bislang sehr willfährig und haben häufig zugestimmt, unsere Daten preiszugeben, um Dienste nutzen zu können. Das ist per se auch erstmal nicht schlecht. Es ist aber kritisch zu hinterfragen. Deswegen würde ich mir wünschen, dass man sich viel stärker dem Bereich Reallabore widmet und mithilfe von öffentlich finanzierten Innovationsstrukturen über Längsschnittanalysen, das heißt über viele Jahre hinweg, Erfahrungen sammelt. Diese Daten sollten dann der Gesellschaft, uns Bürgerinnen und Bürgern, aber auch kleinen und mittelständischen Unternehmen, Krankenversicherungen sowie dem Staat zur Verfügung gestellt werden, um bessere Entscheidungen treffen zu können. Da geht es um Fragen wie „Was brauchen wir? Wo ist der Bedarf?“, aber auch um den Erfolg und die Akzeptanz von bestimmten Neuerungen, wie z. B. soziale oder technische Innovationen. In Zukunft würde ich mir daher wünschen, dass wir uns dahingehend aktiver einbringen, um uns nicht von bestimmten Interessen abhängig zu machen.

Vielen Dank für das Interview!


Weiterführende Informationen

LebensPhasenHaus

Eines der vielen Projekte, bei denen Prof. Dr. Daniel Buhr mitwirkte, ist das LebensPhasenHaus in Tübingen. „Das Haus ist ein klassisches Projekt von uns, das einerseits zeigt, was heute technisch schon möglich ist, aber darüber hinaus auch besser als in einer PowerPointPräsentation erklären kann, was genau dabei passiert. Man kann Technik anfassen, kann sie ausprobieren, kann sich eine Meinung bilden und darüber kritisch reflektieren“, so der Wissenschaftler. Wie genau so ein Besuch im LebensPhasenHaus aussehen kann, zeigen wir in unserem Videobeitrag.


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