Expertenstimme: Prof. Dr. Daniel Buhr

Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Daniel Buhr über Ambient Assisted Living: „Wir stehen noch ganz am Anfang“

Als Professor für Politikwissenschaft an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen forscht Prof. Dr. Daniel Buhr seit vielen Jahren u. a. zu Fragen des demografischen Wandels und der Digitalisierung. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich, der (Alters-) Medizin, der Theologie sowie der Sozial- und Wirtschaftswissenschaft beschäftigt er sich dabei auch mit dem Thema Ambient Assisted Living (AAL). Im Interview erzählt er uns, was noch alles getan werden muss, damit sich technische Assistenzsysteme flächendeckend durchsetzen können, was die Wissenschaft dazu beitragen kann und warum Orte wie das LebensPhasenHaus in Tübingen so wichtig sind.

Foto: ©Daniel Buhr

Als Sozialwissenschaftler beschäftigen Sie sich viel mit dem demografischen Wandel. Dabei spielt auch das Thema Ambient Assisted Living eine wichtige Rolle. Was genau steckt hinter dem Begriff?

Ambient Assisted Living ist ein klassischer Container-Begriff, der in der Forschungsförderung seinen Anfang nahm. Die Idee dahinter bezieht sich auf Assistenzsysteme, die uns als Bürgerinnen und Bürger ein hoffentlich selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden erlauben und das solange wie möglich. Wenn man diesen Wunsch ernst nimmt, ist natürlich Forschung gefragt. Dabei geht es einerseits darum, eine technische Infrastruktur bereitzustellen, um diese Assistenzsysteme zu entwickeln. Der andere und wahrscheinlich viel wichtigere Punkt sind die Dienstleistungen, die sich daraus entwickeln können, um uns dieses selbstbestimmte Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Und da steht die Forschung noch relativ am Anfang.

Die Forschung von AAL ist also noch nicht sehr weit?

Prinzipiell sind wir in der Sensorik schon sehr weit, technisch ist daher schon vieles möglich. Das ist aber nur eine Seite. Denn gerade im Bereich Ambient Assisted Living kann man sehen, warum aus einer guten Idee nicht zwingend eine erfolgreiche Innovation wird. Warum? Weil auf dem Weg dorthin sehr viel berücksichtigt werden muss. Einerseits müssen die Menschen erst einmal davon erfahren und wissen, welche Möglichkeiten es gibt. Darüber hinaus brauchen wir auch Anbieter, z. B. Pflegeorganisationen, die bereit sind, in neue Dienstleistungen zu investieren. Aber all das funktioniert erst, wenn technisch alles einwandfrei funktioniert, z. B. hinsichtlich des Datenschutzes. Heutzutage stellen wir fest, dass die Sensorik jede Menge Daten sammelt. Das ist ab und an vielleicht auch sinnvoll und wichtig. Aber eine zielführende Umsetzung dieser ganzen Informationen in neue Dienstleistungen ist noch nicht erfolgt. Jedenfalls noch nicht so, dass man davon sprechen könnte, dass sich AAL flächendeckend durchgesetzt hätte.

Wenn Sie von Sensorik sprechen: Was genau meinen Sie damit?

Im Bereich der Sensorik geht es darum, bestimmte Dinge zu messen, wie z. B. eine Sturzerkennung oder das Smart-Metering, also die Erkennung von bestimmten Mustern im Energie- und Wasserverbrauch. Das Ziel ist es, abzuleiten, ob sich ein Muster verändert hat. Schafft es jemand vielleicht nicht, allein aus dem Bett zu kommen? Brauchen wir hier möglicherweise eine Alarmierung? Sollte vielleicht die Nachbarin oder der Nachbar nachschauen? Eine intelligente Sensorik kann mittlerweile relativ viel an Mustern und Abweichungen von Mustern erkennen, um Rückschlüsse zu ziehen, was passiert sein könnte und um dann tätig zu werden.

Wie sieht es generell mit der Bevölkerung aus? Ist AAL schon bei den Bürgerinnen und Bürgern angekommen?

Ich würde sagen, immer mehr wissen davon. Dennoch brauchen wir sowohl in der Wissenschaft als auch in der Wirtschaft und der Gesellschaft alle Geduld. Das ist für viele noch etwas Neues. Aber der demografische Wandel ist für viele Leute auch noch etwas Neues und eigentlich wissen wir schon seit vielen Jahrzehnten, was da auf uns zukommt. Und so langsam kommt es auch in der Realpolitik an, wo politische Programme aufgesetzt werden. Flächendeckend setzt sich das aber noch nicht durch.


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