Expertenstimme: Prof. Dr. Barbara Steiner

Abgesehen von der Finanzierbarkeit, wie ist die Haltung älterer Menschen generell gegenüber Technik? Zeigen sie sich offen oder haben sie eher Vorbehalte?

Ich würde es sehr stark verneinen, dass ältere Menschen nichts mit Technik zu tun haben. Meinen Erfahrungen nach und auch aus der Forschung weiß man, dass jemand, der Technik hilfreich findet und das Gefühl hat, sie zu beherrschen, die Technik auch nutzt. Wenn Menschen das Gefühl haben, die Technik nicht im Griff zu haben, sage ich ihnen immer, es liegt nicht an ihnen, sondern an der Technik. Ich würde daher behaupten, dass es eher noch ein Dienstleistungs- und Technikproblem ist: Das Produkt ist entweder zu teuer, man versteht es nicht oder die älteren Menschen fühlen sich stigmatisiert. Die Menschen brauchen außerdem einen Notausknopf. Sie wollen die Gewissheit haben, dass sie das System im Notfall ausschalten können, wenn sie es nicht mehr im Griff haben. Nehmen wir z. B. die vielen Updates: Nach so einem Update sieht die Benutzeroberfläche wieder ganz anders aus. Weniger technikaffine Menschen bekommen dadurch erneut das Gefühl, die Technik nicht zu beherrschen, weshalb sie sich so ein System eher nicht einbauen lassen. Ich finde, das ist eine logische und natürliche Haltung des Menschen, weil er sich sonst in eine völlige Abhängigkeit begibt.

Man könnte also sagen, ältere Menschen stehen der Technik durchaus offen gegenüber, aber momentan scheitert es eher an der Usability, also an der Bedienbarkeit?

Genau. Usability ist ein schönes Zauberwort. Denn wenn die Usability nicht gegeben ist, nutzen die Menschen das System nicht. Dabei ist es egal, ob man jung oder alt ist. Aber als junger Mensch ist man noch mit einer ganz anderen Geschwindigkeit unterwegs, diese Systeme zu lernen. Je älter man ist, desto schwerer tut man sich, diese Systeme zu nutzen. Und dann gibt es noch Menschen, die langsamer sind oder kognitive Einschränkungen bis hin zu Behinderungen haben und bislang vielleicht keinen Zugang zur Technik hatten, weil sie diese davor nie nutzen konnten. Manche Menschen haben einfach keinen Zugang zur Technik. Die sozialen und kulturellen Unterschiede werden noch eine große Herausforderung sein. Aber auch die Profis in der Vermittlung müssen viel mehr über digitale Assistenzsysteme wissen. In Zukunft wird es nicht mehr reichen, nur über den klassischen Notruf Bescheid zu wissen. Da geht es vielmehr um die Frage, wie viel Technikverständnis jemand haben muss, um dahingehend beraten zu können.

Wenn jemand Technik hilfreich findet und das Gefühl hat, sie zu beherrschen, nutzt er die Technik auch.

Prof. Dr. Barbara Steiner

Die Vermittlung, aber auch die Aus- und Weiterbildung spielen bei AAL eine wichtige Rolle. Sie selbst unterrichten an der Dualen Hochschule in Heidenheim Soziale Arbeit. Inwieweit gehen Sie dabei auf das Thema Technik und Digitalisierung ein?

Meine Studierenden kommen aus unterschiedlichen Bereichen, z. B. aus der Jugendhilfe, Altenhilfe, Behindertenhilfe oder der Flüchtlingshilfe. Wenn es um die Techniknutzung geht, ermuntere ich sie natürlich gerne. Oft sind es aber Grundlagen zum Thema Technik, die ich vermittle: Was versteht man darunter? Wie kann ich das Feld strukturieren, was sind die Herausforderungen? In der Behindertenarbeit steht man beispielsweise vor der Aufgabe, eine Wohnung mithilfe von Technik barrierefrei zu gestalten. Da gibt es unterschiedliche Ansätze. So könnte man z. B. per Sprachassistent Türen öffnen oder Rollläden schließen. Generell wichtig finde ich dabei die Frage: Woher weiß ich, was die Menschen brauchen und welche Technik zur Verfügung steht, um sie individuell beraten zu können?

Wie erfährt man, was die Menschen brauchen könnten, wenn sie es selbst nicht wissen?

Ein zentraler Aspekt ist dabei die ethikbasierte Beratung. Bei der Beratung kann man sich gut an den Dimensionen des MEESTAR-Modells orientieren, das für die ethische Bewertung von technischen Systemen entwickelt wurde. Es kann als Leitfaden dienen, um herauszufinden, welche Fragen im Zusammenhang mit Techniknutzung für einen persönlich wichtig sind: Was heißt Autonomie für Sie? Was heißt Sicherheit für Sie? Was können Sie sich leisten? Was macht Technik womöglich mit Ihnen? Stellen Sie sich vor, Sie sind auf viel Technik angewiesen, brauchen z.B. ein Beatmungsgerät und sitzen im Rollstuhl. Das macht etwas mit dem Selbstverständnis des Menschen. Das müssen wir erst einmal besser verstehen. Wir stehen noch ganz am Anfang: Wie gehen wir mit Technik um? Was bedeutet das für uns? Wir nutzen nicht nur digitale Technologien, wir stehen vielmehr vor einer digitalen Transformation. Es ist ein riesiges Thema, das unsere Gesellschaft grundlegend verändern wird und wir wissen nicht, was diese Technik mit uns macht. Es geht dabei um ein grundlegendes Verständnis. Und da wird es Anforderungen geben. Mit diesen müssen wir uns intensiv auseinandersetzen.

Vielen Dank für das Interview!


Weiterführende Informationen

Ethische Fragestellungen – MEESTAR

Das ethische Evaluationsinstrument MEESTAR steht für „Modell zur ethischen Evaluation sozio-technischer Arrangements“ und wurde im Rahmen einer Studie des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) entwickelt. Ziel dieses Modells ist es, den Einsatz von technischen Assistenzsystemen anhand eines konkreten sozio-technischen Szenarios ethisch zu analysieren und reflektieren, mögliche moralische Probleme zu identifizieren und darauf aufbauend Lösungen für den Technikeinsatz zu entwickeln.


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